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Wahrnehmung und Wirklichkeit

self-Logo 25.10.2022 Simone Braun, Verena Kaltner, Sarah Poremba, 10a Max-Mannheimer-Gymnasium Grafing

Alle reden vom Klimawandel, nur wenige vom Artenverlust

Biodiversität – was ist das überhaupt? Und wie hängt sie mit dem Klimawandel zusammen? Welchen Einfluss hat sie auf das menschliche Leben? Grob gesagt umfasst Biodiversität die Artenvielfalt auf unserem Planeten. Dazu kommt die genetische Vielfalt innerhalb der Arten, die Vielfalt der Ökosysteme und das Zusammenspiel der Arten. Die Anzahl der Arten und Individuen jeder Art pro Flächeneinheit bestimmt die Biodiversität. Eine intakte Biosphäre und eine hohe Artenvielfalt stellen eine unserer wichtigsten Lebensgrundlagen dar. Sie gilt als Schlüssel für die Produktion von Biomasse und somit Nahrungsmitteln und trägt zur Stabilität von Ökosystemen bei. Die Artenvielfalt ist jedoch in Gefahr. Sie schwindet von Tag zu Tag – und wird zu wenig wahrgenommen.

Aus Sicht von Axel Schaffer, Professor für Wandel und Nachhaltigkeit an der Universität der Bundeswehr München, „gefährden menschliche Einflüsse nicht nur die Integrität des Klimasystems, sondern auch der Biosphäre – und zwar in gleichem Maße und gleicher Dringlichkeit“. Der Verlust der Artenvielfalt fördert nicht zuletzt das Voranschreiten des Treibhauseffekts und somit des Klimawandels. Die Erderwärmung führt wiederum zur Verschiebung der Klimazonen. Viele Tier- und Pflanzenarten können sich nicht schnell genug an die veränderten Bedingungen anpassen. Ein massiver Verlust der Biodiversität hat aber nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Konsequenzen: Dürren, Überschwemmungen, Brände, Armut – um nur einige zu nennen. Besonders für den globalen Süden.

Was also tun, um unsere Lebensgrundlagen zu retten? Die Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskonvention, von allen außer den USA ratifiziert, haben sich verpflichtet, die biologische Vielfalt zu erhalten und sich für ein Leben in „Harmonie mit der Natur“ zu bemühen. Bislang wurden die selbst gesetzten Ziele jedoch weit verfehlt. Auch, weil diese Verpflichtungen nicht sanktionierbar sind. Zudem werden die Auswirkungen der schwindenden Biodiversität von den Menschen kaum wahrgenommen. „Das liegt an der Diskrepanz zwischen physischer und sozialer Wirklichkeit“, sagt Schaffer. „Während die physische Wirklichkeit maßgeblich auf wissenschaftlichen Fakten beruht, formiert sich die soziale Wirklichkeit erst über Medien oder eigene Erfahrungen.“

Um die Akzeptanz des Biodiversitätsverlustes in Politik und Gesellschaft zu erhöhen, ist ein Gleichgewicht zwischen wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen und der Wahrnehmung in der Gesellschaft unverzichtbar. Denn: „Trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnis wird der Verlust der Biodiversität, gegenüber dem Klimawandel oder der Corona-Pandemie, weniger stark wahrgenommen“, so Schaffer. „Möglicherweise muss erst eine Katastrophe geschehen, um die Menschen dafür zu sensibilisieren.“ Den Klimawandel könne man bis zu einem gewissen Grad rückgängig machen, der Biodiversitätsverlust aber „ist irreversibel“.

Doch was muss nun konkret passieren, um das Artensterben zumindest zu verlangsamen? Ein weltweiter Wandel in technologischen, ökonomischen und sozialen Bereichen, so die einhellige Meinung von Umweltschützern. Ausbau und Förderung ökologischer Landwirtschaft etwa, fleischarme Ernährung, nachhaltiger Städtebau, globaler Wertewandel, verantwortungsvollere Finanzkonzepte, alternative Energien und Kraftstoffe, maßvoller Konsum und gleichzeitiges Unterbinden von Raubbau, Flächenversiegelung, Monokulturen oder Warenproduktion, nach dem Prinzip kaufen und wegschmeißen.

Zusätzlich braucht es Druck durch zivilgesellschaftliches Engagement, Proteste, Kampagnen, wie zum Beispiel die Fridays-for-Future-Bewegung, eine gewisse Bereitschaft zum Verzicht und nach Möglichkeit zu einem regionalen, ökologischen und nachhaltigen Lebensstil. „Man muss die Leute mitnehmen“, sagt Schaffer, „sonst funktioniert das nicht.“



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