
Mein langer Weg nach Deutschland
Meine Familie und ich lebten glücklich und zufrieden in Latakia/Syrien, einer sehr lebendigen Stadt mit mehr als zweitausend Jahren Geschichte. Unser Haus war nicht weit vom Meer entfernt und sehr schön gelegen. Mein Vater arbeitete in der Werkstatt meines Opas, wo Lastwagen und ihre Anhänger repariert werden. Meine Mutter hatte gerade ihr Abitur gemacht und freute sich auf ein Studium.
Dann kommt der entscheidende Tag, an dem mein Vater zur syrischen Armee eingezogen wird. Nach schlaflosen Nächten beschließt meine Mutter, dass wir die abenteuerliche Reise nach Europa antreten sollten, um als Familie zusammenbleiben zu können. Schweren Herzens verkaufen wir Schmuck und wertvolle Dinge und machen uns auf die Reise.
Die erste Fahrt geht mit dem Auto in den Nachbarstaat Libanon. Vom Libanon dann in die Türkei an die türkische Westküste. Aber jetzt müssen wir über das Meer nach Griechenland kommen. Unser Ziel ist die Insel Samos, die nur wenige Kilometer von der türkischen Küste entfernt ist. Am Strand haben sich schon viele Leute angesammelt, doch das Boot ist ziemlich klein. Mir wird ganz schlecht, als wir versuchen, einen Platz für die ganze Familie in diesem Boot zu finden. Als alle sich in das Boot gequetscht haben, will der Motor nicht anspringen. Nach vielen vergeblichen Versuchen geht mein Vater zum Anlasser. Wie froh bin ich und zugleich stolz, als wir endlich das Geräusch des Motors hören. So kommen wir glücklich nach Europa, genauer gesagt nach Samos. Im Gegensatz zu den langen Mittelmeerrouten ist diese Überfahrt fast die ungefährlichste. Auf der Insel können wir endlich ein bisschen ausruhen. Ich denke, dass wir es fast geschafft haben. Die zweite Fahrt über das Meer machen wir mit einer Fähre. So kommen wir nach Athen, mit Bussen geht es weiter bis kurz vor die mazedonische Grenze Dort rasten wir in einem Waldstück und sind auf Pappkartons wie Bettler auf dem Erdboden eingeschlafen. Ich habe furchtbar Hunger und bin glücklich, als uns Soldaten etwas zu essen bringen. Es sind viele hundert Leute an diesen Platz versammelt. Die Nahrungsmittel sind schon abgelaufen und schmecken scheußlich, aber wir sind trotzdem froh überhaupt etwas abzubekommen. Inzwischen hat die mazedonische Regierung mit vielen Soldaten die Grenze abgeriegelt. Mit vielen hundert anderen versuchen wir auf den Bahngleisen über die Grenze zu kommen. Die Grenzsoldaten schießen mit Tränengas und Blendgranaten auf uns Flüchtlinge. Als wir dann nur noch wenige Meter vor den Grenzsoldaten stehen, bekomme ich richtig Angst. Es fällt mir schwer, Luft zu bekommen,weil so viele Menschen auf einem Platz sind. Mein Vater schubst meine Mutter auf die Grenzsoldaten, die beiseite springen und eine Lücke aufmachen. Als ich sehe, wie meine Mutter auf die Gleise stürzt, fange ich laut an zu weinen und bin sehr verzweifelt. Ich verstehe die Welt nicht mehr und habe einfach Angst . Aber wir brechen durch und laufen direkt auf ein UNHCR Mitglied zu, einen Mann von der Flüchtlingsagentur der UN. In Deutschland haben wir dann herausgefunden, dass es ein Video auf YouTube von SkyNewsArabia gibt, wo man uns aufgenommen hat . Darauf sieht man bei Minute 02:20 denselben Mann vom UNHCR. Diesem Mann haben wir wohl zu verdanken, dass wir durchgekommen sind. So kommen wir endlich zum Bahnhof von Gevgelija in Mazedonien. Unsere Erleichterung darüber, dass wir es geschaffte haben und endlich frische Luft schnappen können, ist riesig.
Bis dahin hat unsere Flucht schon drei Wochen gedauert und ich bin total erschöpft. Ab jetzt geht es nur noch mit Auto und Bus über Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Wir kommen so ganz schnell nach Nürtingen in ein Aufnahmelager.
Nach einem Jahr werden wir von Nürtingen nach Oberkochen geschickt, einer kleinen Stadt im Ostalbkreis, die ich heute als meine neue Heimat bezeichne. Wir Kinder sind hier in die Schule gekommen und meine Eltern haben viele Sprachkurse gemacht. Heute fühlen wir uns voll integriert, sind inzwischen deutsche Staatsbürger und leben glücklich in Deutschland. Unsere Flucht ist bestimmt ein unvergessliches Erlebnis, aber diese Reise möchte ich kein zweites Mal machen. Früher hätte ich nie gedacht, dass ich einmal in Deutschland leben und eine neue Sprache lernen würde. Heute bin ich dankbar für die Chance, die ich hier bekommen habe, wie eine sichere Unterkunft, eine bessere Zukunft und gute Bildung und die Möglichkeit, meine Träume zu verwirklichen. Aber ich weiß auch, wie schwer es ist, alles zurückzulassen.