Der nette AfD-Politiker von nebenan

self-Logo 05.09.2023 Alia Schwerer

Die Landratswahl im thüringischen Sonneberg und die „Protestwähler“                                                     


Lange schon geistert es durch die Lande, ein Schreckphänomen, das sich größte Mühe gibt, durch menschenfeindliche Hetzerei mit Parolen wie aus dem 1945er Bilderbuche, Angst zu schüren – und das mit großem Erfolg bei mehr als nur einer Zielgruppe. Seit Jahren schon, zeigt es Anstrengungen, das gesellschaftspolitische Klima mit rechtsextremer Rhetorik völlig unverhüllt anzuheizen, nein vielmehr anzufeuern- und das nicht nur im übertragenen Sinne (zur Verdeutlichung reicht der Hinweis, man solle alleinig für die vergangenen Monate zur Veranschaulichung einen Blick nach Marklkofen (Kreis Dingolfing-Landau) werfen, wo ein 57-jähriger Mann aus „rechtsextremistischen beziehungsweise fremdenfeindlichen Tatmotivationen“ mehrfach Feuer in Zelten für Geflüchtete gelegt hat).


Der Schreck sitzt tief, die Hütte brennt – wenn auch momentan nur im übertragenen Sinne: Die Rede ist natürlich von keiner anderen Partei als der AfD, die es Sonntagabend erstmalig geschafft hat, eine Landratswahl zu gewinnen.    


Dass dieser Tag zwangsläufig irgendwann eintreten würde, ist hinsichtlich der in der Vergangenheit für die AfD verlorenen Stichwahlen in Bezug auf Landrats- beziehungsweise Bürgermeisterpositionen, zumindest für den politikinteressierten Menschen, keine Überraschung. Trotzdem ist der Schock bei den demokratischen Parteien berechtigterweise groß: Ungeachtet des Zusammenschlusses zur Unterstützung des CDU-Kandidaten der Kreisverbände von sowohl SPD, Grünen, als auch Linken, konnte Robert Sesselmann sich durchsetzen.


Fest steht, der Wahlsieg ist keinesfalls auf die überdurchschnittliche Qualifizierung des AfD-Kandidaten zurückzuführen. Vielmehr sollte es jedem auf den ersten Blick klar sein, dass das Wahlprogramm Sesselmanns hinsichtlich seiner Kandidatur für eine Position als Landrat nahezu absurd ist (andernfalls wäre der erneute Besuch der 9. Klasse wärmstens zu empfehlen). Schließlich hatte die Wahl seiner Themen – man stelle sich vor – nichts mit seinem eigentlichen Einfluss- und Verantwortungsbereich zu tun, sondern spielte sich weitgehend auf bundespolitischer Ebene ab. Die Rede ist unter anderem von „Grenzschutz“ (der bayrischen- oder gar der Sonneberger-Grenze?), sowie einiger Anregungen hinsichtlich des Umgangs mit dem Russland-Ukraine Konflikts und – so unglaublich es klingen möge – der „Abschiebung krimineller Asylbewerber“, was, wenn man von der hochgradig problematischen Formulierung für eine Sekunde absieht, auch auf der sachlichen Ebene schon widersprüchlich ist: Als Landrat ist Sesselmann letztendlich an die Umsetzung der Vorgaben von Land und  Bund, sowie die freiheitlich-demokratische Grundordnung gebunden und somit dazu verpflichtet, Geflüchtete aufzunehmen und zu versorgen. Was allerdings sehr wohl in seinem Aufgabenbereich liegt, ist die Umsetzung dieser Maßgaben, was eine entsprechend heikle Zukunft für die betroffenen Menschen vor Ort in den kommenden 6 Jahren bedeutet.


An der sonnigen Ausstrahlung des Herren kann der Erfolg auch nicht gelegen haben, das zeigt die großflächige Plakatierung seiner Parolen wie „Unser Land, unsere Regeln“ oder „Weil unsere Frauen kein Freiwild sind“, mit denen der „moderate“ AfD-Politiker eindeutig, ganz nach traditioneller Sonneberger-Art, einen besonders sympathischen Charakter unter Beweis stellt.


Auch lässt sich davon ausgehen, dass der ein oder andere bei der Setzung des Wahlkreuzchens nicht ausversehen einer Verwechslung von CDU und AfD unterlag, obgleich diese Vermutung hinsichtlich der jüngsten Äußerungen der Union, die in ihrer Oppositionsrolle ebenfalls fleißig am Adaptieren der verrohten Rhetorik ist, einen Anlass zur Reflektion gibt: Unbestreitbar ist nämlich, dass sie weder von den Komplikationen der Ampel-Regierung, noch von der mangelnden Abgrenzung nach rechts profitiert. Im Gegenteil, sie sorgt damit einzig für die Normalisierung der Implantation des Kulturkampfes von rechts, der Profiteur eindeutig die AfD. Diese Feststellung der Notwendigkeit der Überprüfung der eigenen Positionierung, ist somit nicht einmal auf der moralischen Ebene oder der Wahrung des „christlichen Aspekts“ fundiert, sondern – nebenbei erwähnt – bereits schon aus strategischer Perspektive für die Zukunft der Union als demokratische Partei obligatorisch.


All dies lässt nur eine Schussfolgerung zu: Das Minimieren des Erfolges der AfD auf sogenannte „Protestwähler“, ist ein fataler Euphemismus, der endlich aus dem Volksglauben verschwinden muss. Wenn eine vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte und beobachtete Partei, die einen offensichtlich themenfernen und unverblümt rassistischen, menschen- und demokratiefeindlichen Wahlkampf führt und gewinnt, wenn auch nur auf Landratsebene, zeigt die Etablierung der AfD und vorrangig die Dominanz des regressiven Weltbildes in der Gesellschaft.


Auch das Argument, die AfD würde sich nun selber schwächen durch die erstmalige Regierungsmacht, deren Verantwortung sie nicht gewachsen sei, ist ein desaströser Fehlschluss. Vielmehr ist es ein weiterer Schritt in Richtung der Aushöhlung der Demokratie und das prekärer Weise nun auch noch aus privilegierter Position. Es ist ein symbolischer Sieg für die AfD und deren fortschreitende Akzeptanz und ein Gewöhnungseffekt, in zukünftigen Wahlen ebenfalls erfolgreich hervorzugehen, sowie Anlässe für die Partei zur Selbstbezeichnung, sie sei „auf dem Weg zur Volkspartei“ so Sesselmann und dem geschmacklosen DDR-Vergleich von AfD-Landeschef Björn Höcke, es handle sich um eine „Wende [zum Guten]“. Es ist der Moment für die Parteien, insbesondere die CDU, den Betonungen von Friedrich Merz „die Brandmauer“ stehe, Nachdruck zu verleihen und nicht auf dem rechten Auge blind zu sein. Es ist der Moment für die Demokratie, nicht mit einer rechtsextremen Partei zu koalieren beziehungsweise sich von faschistischen Ideologen führen zu lassen.



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