Nele Hofeditz

Die Kunst des Karate

self-Logo 06.04.2023 Nele Hofeditz, Ricarda-Huch-Schule Hannover

Es ist 18:30, das Training beginnt in 15 Minuten. Die Schüler ziehen sich in den Umkleiden um und warten vor der Halle auf den Trainer. Bevor die Schüler die Halle betreten, verbeugen sie sich. Schließlich stellen sie sich in einer Reihe vor dem Trainer auf. Die niedrigeren Gürtel stehen links und nach rechts geht die Gürtelfarbe immer weiter hoch. Nun folgt die Begrüßung des Trainers. Die Schüler und der Trainer setzen sich aufrecht mit den Beinen auf dem Boden. Nun verneigen sich noch mal alle mit der Stirn zum Boden gerichtet. Danach erheben sich wieder alle und verbeugen sich noch ein weiteres mal im Stehen. Nun kann das Training beginnen.

In vielen Dōjōs ist es üblich, vor Betreten und Verlassen der Halle die darin Versammelten mit einer kurzen Verbeugung zu begrüßen, eventuell wird auch der Shōmen des Dōjō mit einer weiteren kurzen Verbeugung beim Betreten und Verlassen gegrüßt.  Danach wird gemeinsam ein Grußritus (Rei) zelebriert, in der sich Schüler und Meister voreinander und vor den alten Meistern und Vorfahren (im Geiste, repräsentiert an der Stirnseite, dem Shōmen des Dōjō) verneigen.

Jedes Karatetraining beginnt und endet traditionell mit einer kurzen Meditation (Mokuso). Dies soll auch den friedfertigen Zweck der Übungen zum Ausdruck bringen. Die kurze Meditation lässt auf die Tradition des Karate als Weglehre schließen, auch wenn das heutige Training nach modernen sportlichen Gesichtspunkten (so zum Beispiel als Fitness- oder Wettkampftraining) und nicht als Übung des Weges (im Sinne des klassischen Karatedō) ausgerichtet ist. Auch beginnt und endet jedes Karatetraining, jede Übung und jede Kata mit einem Gruß. Dadurch wird das erste Prinzip der 20 Regeln von Gichin Funakoshi zum Ausdruck gebracht: „Karate wa rei ni hajimari rei ni owaru koto“ – „Karate beginnt und endet mit Respekt!“

Karate ist japanisch und bedeutet wörtlich übersetzt „leere Hand“. Bereits der Name deutet darauf hin, dass Karate eine waffenlose und faire Kampfkunst ist, in der es nicht um Sieg oder Niederlage geht, sondern um das gemeinsame Training, sich im Notfall verteidigen zu können und seinen Charakter zu stärken.

Karate ist ein Kampfsport, dessen Ursprünge bis etwa zum Jahr 500 n. Chr. zurückreichen. Chinesische Mönche, die keine Waffen tragen durften, entwickelten aus gymnastischen Übungen im Laufe der Zeit eine spezielle Kampfkunst zur Selbstverteidigung. Diese Kampfkunst galt auch als Weg der Selbstfindung und Selbsterfahrung. Als Sport ist Karate relativ jung: Erst Anfang des vergangenen Jahrhunderts entstand in Japan aus der traditionellen Kampfkunst ein Kampfsport mit eigenem Regelwerk.

Auch heute noch spiegelt sich im Karate-Do die fernöstliche Philosophie wieder. Übersetzt bedeutet "Karate-Do" so viel wie "der Weg der leeren Hand". Im wörtlichen Sinne heißt das: Der Karateka (Karatekämpfer) ist waffenlos, seine Hand ist leer. Das "Kara" (leer) ist aber auch ein ethischer Anspruch. Danach soll der Karateka sein Inneres von negativen Gedanken und Gefühlen befreien, um bei allem, was ihm begegnet, angemessen handeln zu können.

Im Training und im Wettkampf wird dieser hohe ethische Anspruch konkret: Nicht Sieg oder Niederlage sind das eigentliche Ziel, sondern die Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit durch Selbstbeherrschung und äußerste Konzentration. Die Achtung vor dem Gegner steht an oberster Stelle.

Bevor man mit dem Karatetraining beginnt, müssen sich die Schüler erst einmal aufwärmen. Das Aufwärmtraining kann von Stunde zu Stunde unterschiedlich sein, damit einem nicht langweilig wird. Es besteht zum Teil aus Laufübungen oder auch Dehnübungen, damit man sich nicht leicht verletzen kann. Das Aufwärmtraining kann auch in Zusammenhang mit einem Spiel stehen. Zum Beispiel hat der Trainer zwei verschiedenfarbige Polster. Der Trainer macht aus, welches Polster für welche Aufwärmübung steht. Ein rotes Polster kann beispielweise für Kniebeugen stehen. Der Trainer besitzt beide Polster und geht herum. Dann nennt er eine Farbe von dem Polster und wirft beide weg. Nun ist es die Aufgabe der Schüler so schnell wie möglich das richtig farbige Polster als erstes zu nehmen. Wer nun das Polster hat, zählt bis fünf und die anderen machen die Übung für das Polster in diesen fünf Zählzeiten fünfmal. Nun kann das eigentliche Karatetraining beginnen. 

Im Training und Wettkampf werden Fuß- und Fauststöße vor dem Auftreten abgestoppt. Voraussetzung dafür ist Selbstdisziplin, Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Partner und natürlich eine gute Körperbeherrschung, die im Kihon (Grundschule) systematisch aufgebaut wird. Aufgrund seiner vielseitigen Anforderungen an Körper und Geist, ist Karate ideal als Ausgleich zu den Anforderungen des Alltags: Der Karateka trainiert Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit. Das macht fit! Mit Entspannungstechniken, Atemübungen und Meditation steigert er seine Konzentrationsfähigkeit und schult die eigene Körperwahrnehmung.

Nun beginnt das eigentliche Training. In jeder Stunde können unterschiedliche Aspekte trainiert werden. Es kann Kumite (der Freikampf) oder auch Katas drankommen. Katas sind eine Abfolge von Schritten in der man gegen mehrere imaginäre Gegner kämpft. Dies hat den Zweck, dass man auch alleine ohne einen Partner, den man im Freikampf benötigt, Trainieren kann. Es gibt viele verschiedene Katas, die immer komplizierter und anspruchsvoller werden. Doch man muss nicht gleich alle können, da Katas immer ab einer bestimmten Gürtelfarbe dazu gelernt werden. Manche Katas können bis zu über 30 Schritte haben, diese lernt man aber auch erst mit dem Schwarzgurt.

Viele Karateka üben ihren Sport aus, um sich im Notfall selbst verteidigen zu können. Und tatsächlich ist Karate eine wirksame und praktikable Verteidigungsart. Kraft und körperliche Statur spielen in der Karate-Selbstverteidigung nur eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sind Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Gelassenheit. Nur wer bei einem Angriff nicht in Panik gerät, kann sich sinnvoll verteidigen. Deshalb vermitteln spezielle Lehrgänge neben technischen Fertigkeiten auch die psychologischen Komponenten der Selbstbehauptung und Selbstverteidigung. Diese Aspekte machen Karate-Selbstverteidigung insbesondere für Frauen und Mädchen interessant.

Im Karate werden grundsätzlich zwei Wettkampf-Disziplinen unterschieden: 

Beim "Kumite" (Freikampf) stehen sich zwei Karateka auf einer Kampffläche gegenüber und versuchen, Stoß-, Schlag- und Tritt-Techniken anzubringen. Die Kriterien sind so gehalten, dass Verletzungen der Kampf-Partner ausgeschlossen sind: Wer sich nicht  an die Regeln hält, wird disqualifiziert!

Die Disziplin "Kata" ist eine Abfolge genau festgelegter Angriffs- und Abwehrtechniken gegen mehrere imaginäre Gegner, die sich aus verschiedenen Richtungen nähern. Man unterscheidet rund 50 verschiedene Katas, deren Ästhetik im Einklang von Kampfgeist, Dynamik und Rhythmik liegt.

Manche Kata wurde über Jahrhunderte von Generation zu Generation weitergegeben und ist Zeuge der Tradition des Karate.

Ob Ausgleichssport, allgemeine Fitness oder Selbstverteidigung: Karate eröffnet allen Altersgruppen und Interessenlagen ein breites sportliches Betätigungsfeld. Karate ist nicht nur interessant für jung und alt. Durch die Vielseitigkeit fördert Karate Gesundheit und Wohlbefinden. Auch deshalb haben sich viele junge und ältere Menschen für diesen Sport entschieden. In den meisten Vereinen gibt es Anfängerkurse, die den Einstieg leicht machen: Stufe um Stufe wachsen Geschicklichkeit und Leistungsvermögen. Die farbigen Gürtel der Budo-Sportarten sind dabei Hilfe und Ansporn.

Das Training ist nun beendet. Die Schüler stellen sich wieder in einer Reihe auf und verbeugen sich. Nun folgt die Absage. Alle setzen sich wieder aufrecht auf ihre Knie. Der Trainer beginnt mit der Absage, nun spricht der Schüler mit dem höchsten Gurt die Absage für den Trainer. Wenn der Trainer das Signal gibt, stehen alle wieder auf. Sie stellen sich mit den Füßen zusammen bereit, um sich noch einmal zu verbeugen. Danach können die Schüler aus der Halle gehen, doch auch hier muss man sich noch ein letztes Mal vor der Halle verbeugen. Das Training ist nun beendet. 


Promedia Maassen
17.04.2023 10:12 Uhr
Hallo Nele, vielen Dank für deinen tollen Beitrag zum Thema Karate. Es klingt nach einem sehr interessanten Hobby. Dir ist gut gelungen, mit der Verbindung aus der szenischen Beschreibung des Trainings und den Hintergrundinfos einen sehr ausführlichen Einbl ick in diese Sportart zu geben. Durch die vielen Infos und auch Fachbegriffe, die du schön erläuterst, lässt sich der Text sehr kurzweilig lesen. Eine Frage hätten wir noch: Hast du diese Infos extra für den Text recherchiert oder bekommt man die auch beim Training vermittelt? Liebe Grüße vom Promedia Maassen Team

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